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Robotik im Seniorenheim? – Bürgerinnen und Bürger diskutieren ethische Fragen der Digitalisierung in der Altenpflege

Älterer Mann steht einem Roboter Kopf an Kopf gegenüber.
Prof. Dr. Robert Ranisch
Ranisch mit dem humanoiden Roboter „Pepper“
Foto : AdobeStock/Thomas
Robotik im Seniorenheim? – Bürgerinnen und Bürger diskutieren ethische Fragen der Digitalisierung in der Altenpflege
Foto : Marcel Wogram
Prof. Dr. Robert Ranisch
Foto : Marcel Wogram
Ranisch mit dem humanoiden Roboter „Pepper“

Menschliche Zuwendung, gute medizinische Betreuung und ein offenes Ohr für alle Sorgen und Nöte, das wünschen sich Angehörige, wenn sie für ihre Eltern oder Großeltern einen Pflegeplatz suchen. Doch häufig werden sie in den Altenheimen mit Personalmangel konfrontiert. Könnte hier ergänzend soziale Robotik zum Einsatz kommen? Was würden technische Helfer leisten? Und was hielten die Betroffenen davon?

Darüber muss geredet werden, mahnt Robert Ranisch, der sich als Juniorprofessor für Medizinethik an der Gesundheitswissenschaftlichen Fakultät auf Fragen der Digitalisierung spezialisiert hat. Es helfe nicht, die Probleme einer immer schneller alternden Gesellschaft zu verdrängen. „Ein Teil der Lösung wird es sein, Fachleute aus dem Ausland anzuwerben, die Arbeit höher wertzuschätzen, besser zu bezahlen und damit gesellschaftlich endlich anzuerkennen, was und wie viel die Pflegenden leisten. Das sind die bekannten Stellschrauben, die wir drehen können“, sagt Ranisch und bezweifelt zugleich, dass das ausreichen werde, um zu verhindern, dass künftig hochqualifizierte Berufstätige ihre Arbeit aufgeben müssen, um ihre Angehörigen zu pflegen.

„Bleibt die Technik“, sagt Ranisch und benennt Möglichkeiten: Künstliche Intelligenz könne die zeitaufwendige Pflegedokumentation erleichtern und damit Freiraum für andere Tätigkeiten schaffen. Der humanoide Roboter „Pepper“ werde bereits eingesetzt, um Pflegebedürftige zu aktivieren und zur Bewegung zu animieren. Die kuschelige Robbe „Paro“ zeige bei einigen Demenzkranken beruhigende Wirkung. Und neuere Systeme wie „Lio“ könnten Routinearbeiten übernehmen und mit einem Greifarm Getränke austeilen. Auch wenn von einem flächendeckenden Einsatz nicht die Rede sein könne, stünden viele neue Prototypen zum Test bereit.

Sensible Fragen

Doch wollen sich Menschen tatsächlich von technischen „Wesen“ berühren lassen oder gar mit ihnen sozial interagieren? „Vorgetäuschte Emotionen können verstören, sie können aber auch Bindungen stärken“, erklärt Ranisch und fragt: „Ist es ethisch ein Problem, wenn sich Menschen in simulierten Interaktionen mit Maschinen oder gar virtuellen Realitäten gut fühlen?“ Als Medizinethiker und Wissenschaftler plädiert er dafür, in Ruhe und auf dem Boden der Tatsachen die realen Chancen und Risiken abzuwägen. Weder das romantisierende Bild der stets gut gelaunten Krankenschwester, die sich in einer schön gelegenen Villa um alle Bedürfnisse kümmert, noch das abschreckende Szenario einer seelenlosen, durch und durch technisierten Pflege helfen hier weiter. Fest stehe, dass neue Technik einer der Hebel sein kann, um künftig eine angemessene Versorgung zu sichern. Was hier verantwortbar ist, stellt allerdings keine technische, sondern eine ethische Frage dar, betont Ranisch. Wissenschaft und Industrie können sich zwar geeignete Strategien überlegen. Die sensiblen Fragen, welche Entwicklungen innerhalb eines ethischen Korridors angemessen sind, dürfe allerdings nicht allein Experten überlassen werden. Deshalb wollen Ranisch und sein Team mit ihrem Projekt „E-cARE“ auch die Gedanken von Bürgerinnen und Bürgern einbeziehen. Nachdem sie bestehende Studien zum Einsatz von Robotern in der Pflege ausgewertet und Praxiserfahrungen in Pflegeeinrichtungen gesammelt hatten, entwickelten sie ein mehrstufiges Format zur Mitwirkung: An drei Wochenenden zwischen April und Juni werden Potsdamerinnen und Potsdamer gemeinsam herausarbeiten, wie gute Pflege in der Zukunft aussehen soll. Sie werden sich darüber verständigen, unter welchen Bedingungen Roboter in der Altenpflege eingesetzt werden dürfen und wann man davon absehen sollte.

Tore zur Wissenschaft öffnen

Zum ersten Treffen erhalten sie umfangreiches Infomaterial, lernen robotische Systeme kennen, hören Berichte aus der Pflegepraxis und Erfahrungen von Betroffenen an, um dann ausführlich darüber zu diskutieren. „Wir im Forschungsteam halten uns zurück, bieten nur den Rahmen, in dem   die Beteiligten ihre Konferenz selbst gestalten“, erklärt Ranisch, der sich darüber freut, auf rund 4.000 Einladungen, die sie per Zufallsprinzip an Potsdamer Haushalte verschickt hatten, so viele positive Rückmeldungen erhalten zu haben. Doch es gab auch harsche Kritik: Ganz und gar unethisch sei es, menschliche Zuwendung durch Technik ersetzen zu wollen. Das zeige, wie kontrovers das Thema diskutiert werde, so der Forscher.

Diejenigen, die sich für die Teilnahme an den drei Konferenzen entschieden haben, werden bei der zweiten Zusammenkunft Gelegenheit haben, Expertinnen und Experten kritisch zu befragen. Sie selbst werden sie aus einer Vorschlagsliste auswählen: Fachleute aus Politik und Gesellschaft, aus Wissenschaft und Praxis sollen ihnen Rede und Antwort stehen. Bei ihrem dritten Treffen schließlich werden die Bürger und Bürgerinnen gemeinsam eine Erklärung verfassen, ein Papier, in dem sie ihrer gemeinsamen Haltung Ausdruck verleihen und deutlich sagen, was sie unter guter Pflege verstehen. Darin soll es auch Empfehlungen zum Einsatz neuer Technologien geben, die die Vielfalt der Positionen in der Gruppe widerspiegeln, um eine Brücke zwischen den unterschiedlichen Meinungen zu schlagen. Adressat ist das Bundesgesundheitsministerium, das das Projekt gefördert hat. „Wir wollen einen gut ausgeleuchteten Diskurs. Das ist praktisch angewandte Ethik, die Laien einbezieht und damit die Tore zur Wissenschaft öffnet“, so Ranisch, dessen Team das Ganze mit einer ethischen Leitlinie zum Einsatz von Robotik in der Altenpflege flankieren wird.

Mehr zum Projekt E-cARE: https://www.fgw-brandenburg.de/e-care/

 

Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal - Eins 2024 „Welt retten“ (PDF).

Veröffentlicht

Online-Redaktion

Sabine Schwarz